[German] Homily by His All-Holiness Ecumenical Patriarch Bartholomew at the Joint Prayer Service (Holy Sepulcher, May 25, 2014)

[German] Homily by His All-Holiness Ecumenical Patriarch Bartholomew at the Joint Prayer Service (Holy Sepulcher, May 25, 2014)


Fürchtet euch nicht! Ich weiß, ihr sucht Jesus, den Gekreuzigten. Er ist nicht hier; denn er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her und seht euch die Stelle an, wo er lag. (Mt 28, 5-6)

Eure Heiligkeit, geliebter Bruder in Christus!

Eure Seligkeit, hochwürdigster Patriarch der Heiligen Stadt Jerusalem, geliebter Bruder und Mitliturg im Herrn!

Eminenzen, Exzellenzen, hochwürdigste Vertreter der christlichen Kirchen und Bekenntnisse, liebe Schwestern und Brüder!        

Mit Ehrfurcht und tief bewegt stehen wir andächtig vor «der Stelle, wo der Herr lag», vor dem lebenspendenden Grab, aus dem das Leben hervorging, und preisen den allbarmherzigen Gott, der uns seine unwürdigen Knechte dieses übergroßen Segens gewürdigt hat, zu diesem Ort zu pilgern, wo das Mysterium des Heils der Welt vollzogen wurde. «Wie Ehrfurcht gebietend ist doch dieser Ort! Hier ist nichts anderes als das Haus Gottes und das Tor des Himmels» (Gen 28,17).

         Wir kommen wie die salbentragenden Frauen am ersten Tag des Sabbats, «um nach dem Grab zu sehen» (Mt 28,1) und hören wie sie die Aufforderung der Engel: «Fürchtet euch nicht». Legt aus eurem Herzen jede Furcht ab, seid nicht ängstlich, seid nicht hoffnungslos! Dieses Grab sendet uns die Botschaft der Ermutigung, der Hoffnung und des Lebens.

Die erste und wichtigste Botschaft dieses leeren Grabes ist, dass der Tod, «unser letzter Feind» (vgl. 1 Kor 15,26), die Quelle aller Ängste und Leidenschaften, besiegt wurde; er hat nicht mehr das letzte Wort in unserem Leben. Er wurde von der Liebe besiegt, von jenem, der ihn freiwillig für die Anderen auf sich nahm. Jeder Tod um der Liebe willen, um des Anderen willen, wird zum Leben, zum ewigen Leben, zum wahren Leben. «Christus ist auferstanden von den Toten, durch den Tod hat er den Tod zertreten und denen in den Gräbern das Leben geschenkt».

           Fürchtet also nicht den Tod, aber auch nicht das Böse, welche Form es auch immer in unserem Leben hat. Das Kreuz Christi hat alle Pfeile des Bösen auf sich gezogen: den Hass, die Gewalt, die Ungerechtigkeit, den Schmerz, die Erniedrigung – all das, was die Armen, die Schwachen, die Unterdrückten, die Benachteiligten, die an den Rand Gedrängten und Erniedrigten in der Welt erleiden. Aber, ihr Gekreuzigten dieses Lebens, seid gewiss, dass wie es im Fall Christi war, auf das Kreuz die Auferstehung folgt, dass der Hass, die Gewalt und die Ungerechtigkeit keine Zukunft haben, dass die Zukunft der Gerechtigkeit, der Liebe und dem Leben gehört. Und arbeitet dafür mit allen euren Kräften, in Liebe, Glaube und Geduld.

Aber dieses allehrwürdige Grab, vor dem wir in diesem Augenblick stehen, sendet uns noch eine andere Botschaft, dass nämlich die Geschichte nicht vorherbestimmbar ist, das letzte Wort in ihr hat nicht der Mensch, sondern Gott. Vergeblich bewachten die Wächter der weltlichen Macht dieses Grab. Vergeblich stellten sie einen großen Stein vor die Tür des Grabes, damit niemand ihn fortbewegen können.  Vergeblich sind die langfristigen Planungen der Mächtigen der Erde: alles unterliegt letztlich dem Urteil und dem Willen Gottes. Jeder Versuch des heutigen Menschen allein und fern von Gott seine Zukunft zu gestalten, stellt eine vergebliche Mühe dar.

Und schließlich ruft uns dieses Heilige Grab noch auf, eine weitere Vorsicht abzulegen, die vielleicht am meisten verbreitete Furcht unserer heutigen Welt, die Furcht nämlich vor dem Anderen, dem Fremden, dem Andersgläubigen, dem Angehörigen der anderen Religion, der anderen Kirche. Rassistische und anders geartete Diskriminierungen gibt es immer noch in vielen zeitgenössischen Gesellschaften und, was das Schlimmste ist, sie durchziehen sogar das religiöse Leben der Menschen. Der religiöse Fanatismus bedroht bereits den Frieden in vielen Gegenden der Welt, wo sogar das Geschenk des Lebens selbst auf dem Altar der Intoleranz geopfert wird. Im Angesicht dieser Situation ist die Botschaft des lebenspendenden Grabes aktuell und eindeutig: liebt den Anderen, den Fremden, den Andersgläubigen wie einen Bruder. Der Hass führt zum Tod, die Liebe «vertreibt die Furcht» (1 Joh 4,18) und führt zum Leben.

Liebe Geschwister,

Vor 50 Jahren haben zwei große Kirchenmänner, Papst Paul VI. und der Ökumenische Patriarch Athenagoras, beide seligen Gedenkens, die Furcht vertrieben, jene Furcht, die ein Jahrtausend lang die beiden altehrwürdigen Kirchen des Westens und des Ostens voneinander entfernt hielt, ja manchmal sogar gegeneinander trieb; sie standen beide an diesem heiligen Ort und ersetzten die Furcht durch die Liebe. Und heute folgen wir, ihre Nachfolger, ihren Spuren, wir ehren ihre heldenhafte Initiative, wir haben den Bruderkuss der Liebe ausgetauscht und setzen den Weg zur vollen Gemeinschaft untereinander in Wahrheit und Liebe fort (Εph 4,15), «damit die Welt glaube» (Joh 17,21), denn kein anderer Weg führt zum Leben als der Weg der Liebe, der Verständigung, des Friedens in Wahrheit und der Treue zur Wahrheit. Diesem Weg sollen alle Christen in ihren Beziehungen untereinander folgen, gleich welcher Kirche oder Konfession sie angehören; so können sie der restlichen Welt ein Beispiel geben. Dieser Weg ist vielleicht lang und mühsam und manchen scheint er zuweilen gar eine Sackgasse zu sein. Aber es ist der einzige Weg, der zur Erfüllung des Willens des Herrn führt: «dass alle eins seien» (Joh 17,21). Es ist dieser Wille, der diesen Weg eröffnet hat; der Urheber unseres Glaubens, unser Herr Jesus Christus, der an diesem Ort gekreuzigt wurde und auferstanden ist, hat ihn uns verkündet. Ihm sei die Ehre und die Herrschaft, mit dem Vater und dem Heiligen Geist, in die Ewigkeiten der Ewigkeiten. Amen.

«Liebe Brüder, wir wollen einander lieben; denn die Liebe ist aus Gott und jeder, der liebt, stammt von Gott und erkennt Gott» (1 Joh 4,7).